Nie hätte ich gedacht, dass ich eines Tages meine Diplomarbeit zu den gesellschaftlichen Formen menschlicher Angst noch einmal aus einer über Jahrzehnte verstauten Kiste
hervorkramen würde. Ihre zunehmende Aktualität hat mich dann aber doch etwas erschrocken. Seinerzeit fasste ich die Arbeit in sechs Thesen zusammen, die ich hier
nochmal wiedergebe:
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Soziale Konflikte entstehen in der Auseinandersetzung um die Teilhabe an der Kontrolle der gesellschaftlichen und individuellen Lebensbedingungen. Soziale
Ängste entwickeln sich umso mehr, je weniger die Menschen in diese Teilhabe einbezogenen werden.
- Jede Konfliktverarbeitung vermindert die subjektive empfundene Angst durch zunehmende Kontrolle über die eigenen Lebensbedingungen. Jede Konfliktabwehr
verdrängt die subjektiv empfundene Angst durch sozialen Rückzug und Einschränkung der lebensweltlichen Teilhabe.
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Angstbereitschaft kann definiert werden als das subjektive Empfinden eines tatsächlichen oder antizipierten Kontrollverlusts. Sie schlägt in dem Maße in manifeste
Angst um, wie eine äußere Bedrohung als nicht abzuwendende soziale, physische oder psychische Not erlebt wird.
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Bedingungen für die Auslösung des Angstaffekts sind die Unmittelbarkeit der Gefahr, die subjektiv empfundene Hilflosigkeit und die Isolation von Anderen, die bei der
Überwindung der Gefahr helfen könnten.
- Die gesellschaftliche Situation der Menschen in Form von Fremdbestimmung, Isolation und Konkurrenz findet ihre physische und psychische Widerspiegelung im Erleben von
Fügsamkeit, Angst und Feindseligkeit.
- Wenn aufgrund der gesellschaftlichen Verflechtung aller Individuen jede Form der Fremdbestimmung, Isolation und Konkurrenz die subjektiv empfundene Angst verstärkt, dann
wirkt jede Form der Selbstbestimmung, Zugehörigkeit und Kooperation ihr entgegen.
Soziogenetische und psychogenetische Untersuchung zur menschlichen Angst
Fachbereich Soziologie, Universität Trier 1982,
vorgelegt von Dieter Hoffmann