Klassische Texte neu interpretiert
von Dieter Hoffmann
Die Laban-Bewegungsanalyse - seit Jahrzehnten eine Grundlage der Tanztheorie - kann ein tieferes Verständnis der klassischen Texte zum Tai Chi Chuan fördern. Meine "Betrachtungen" beziehen sich v.a. auf folgende Texte.
Zhang Sanfeng (Chang San-feng)
Abhandlung über T'ai Chi Ch'uan
Wang Zongyue (Wang Tsung-yueh)
Klassische Schrift über T'ai Chi Ch'uan
Wu Yuxiang (Wu Yu-hsing)
Erläuterungen zur Ausführung der Dreizehn Stellungen
Die Klassiker von Zhang Sanfeng, Wang Zongyue und Wu Yuxiang sind zwar „die“ Grundlagentexte zum Tai Chi Chuan, nach einer umfassenden Theorie und Methodik des Tai Chi-Faustkampfes wird man in ihnen jedoch vergeblich suchen. Denn als solche waren sie auch nie gedacht. Es handelt sich vielmehr um Merksätze, verfasst für Adepten des Tai Chi Chuan, die bereits intensive praktische Erfahrungen mit dieser Kunst hatten. Die daraus entstandenen Texte waren in ihrer Beschreibung des Tai Chi Chuan weder vollständig noch strukturiert. Vieles blieb vage und wurde nur angedeutet.
Da die Texte nicht für Laien geschrieben wurden, war dies kein wirklicher Mangel. Denn sie waren den Praktikern eine brauchbare Erinnerungsstütze für die Bewegungsprinzipien der Tai Chi-Faustkunst, genauso wie die Namen der Tai Chi-Formen in ihrer bildhaften Sprache dem besseren Behalten bereits gelernter Bewegungsabläufe dienten. Da es nicht Sitte war, geheime Praktiken und Theorien der Öffentlichkeit preiszugeben, wurden die grundlegenden Theorien und Methoden wahrscheinlich mehr in persönlicher Unterweisung weitergegeben.
Die Bewegungsanalyse von Rudolf v. Laban kann helfen, etwas Licht in das Dickicht der Tai Chi-Klassiker zu bringen. Laban fasst seine Theorie in sechs Bereiche zusammen:
- Bewegungsantrieb (Effort)
- Gestalt (Shape)
- Raum (Space)
- Körperorganisation (Body)
-
Beziehung (Relationship)
- Ausdruck (Phrasing)
In den Klassikern geht es v.a. um die Beschreibung der Bewegungsantriebe (Effort) und der ihnen zugrundeliegenden (inneren) Haltungen.