Punkt - Linie - Kreis


"Gleicht nicht das Dao des Himmels dem Spannen des Bogens?"

 

Laozi

 

Die Seidenübungen (Chansi Gong) bilden die Grundlage der verbundenen Bewegungsfolgen im Tai Chi Chuan. Sie folgen den anatomischen Besonderheiten der Gelenkstruktur.

 

Während die Knorpelgelenke der Wirbelsäule die Körperhaltung bestimmen, legen die aus Kopf und Pfanne bestehenden Schulter- und Hüftgelenke die Richtung der Extremitäten fest. Die als Dreh- und Scharniergelenke wirkenden Ellbogen und Knie übertragen das Gewicht und bestimmen die Reichweite. Die elliptischen und ebenen Formen der Hand- und Sprunggelenke dienen der Druckverteilung, sodass die Scharnier- und Sattelgelenke der Finger und Zehen eine genaue Manipulation und Artikulation im Raum erlauben.

 

Damit ist auch die räumliche Perspektive angesprochen, die dem Zusammenwirken von Punkt, Linie und Kreis folgt. Denn jeder kann den Mittelpunkt eines Raumes einnehmen (Punkt), ihn durchqueren (Linie) oder von außen her umgehen (Kreis). Der Perspektivenwechsel verändert auch die räumliche Wahrnehmung und Orientierung, was eine buchstäbliche Neueinstellung erfordert.

 

Wenn es im TAI CHI CHUAN heißt, "im Geraden das Gebogene und im Gebogenen das Gerade zu suchen", ist genau dies gemeint. Und was für die räumliche Orientierung gilt, findet sich auch in den Beziehungen der Gliedmaßen zueinander wieder. Sobald der Schwerpunkt einer geraden Linie folgt, beschreiben Rumpf, Arme und Beine bereits bogenförmige Bewegungen. Denn jedes Körperteil kann um den Mittelpunkt, den sein Gelenk bildet, nur eine kreisförmige Bewegung ziehen. In der Gesamtsumme entspricht dessen Bewegung jedoch nicht einem Kreis, sondern einer Kugel.

 

Auf diese Weise folgt der Körper charakteristischen Bewegungsmustern: Steigen und Sinken, Öffnen und Schließen, Vordringen und Zurückweichen, Ausdehnen und Zusammenziehen. Sie verhalten sich wie Yin und Yang, sich wechselseitig hervorbringend, unterstützend und ergänzend.